Kleinbürgerlicher Müllerssohn oder unehelicher Adelssproß? Die rätselhafte
Herkunft des reformierten Predigers Augustin von Steube (1661-1738) beschäftigte im 20. Jahrhundert
ganze Generationen von Historikern. Sie machte den Theologen gleichzeitig zur Schlüsselfigur in der Abstammungsdiskussion
um seinen berühmten Enkel, des späteren amerikanischen Generalmajors Friedrich Wilhelm von Steuben (
vgl. Kapitel "Nachtrag zum US-General"). |
Schon seit frühester Jugend stand Augustin (von) Steube in der besonderen Gunst der hessischen Regenten. Landgräfin
Hedwig Sophie von Hessen-Kassel, Tochter des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg, ermöglichte seine Aufnahme ins
Konvikt des fürstlichen Hersfelder Gymnasiums - ein Privileg, das vornehmlich adeligen Zöglingen vorbehalten war. Als
jungen Theologie-Studenten berief sie ihn 1682 zum Nachmittagsprediger auf ihrem Witwensitz im Schloß Schmalkalden und
vermittelte ihn später an den Kurfürstlichen Hof in Heidelberg, wo Kurfürstin Charlotte von der Pfalz, die Schwägerin der
Landgräfin, den jungen Prediger in ihre Obhut nahm. Hier begegnete Augustin auch seiner späteren Gemahlin - der jungen
Komtesse Charlotte Dorothea von Effern, einer adeligen Hofdame aus Dänemark. Ihr Vater diente nach dem Verkauf seiner
Güter am Niederrhein als Oberst in einem schwedischen. Infanterie-Regiment. Ihr Bruder Graf Christian Adolf von Effern
war Kommandeur des Königlichen Leib-Reiterregiments in Kopenhagen, wurde nach seinem Ausscheiden aus dänischen Diensten
im Jahre 1689 Kommandeur der Heidelberger Festung Dilsburg. Ihm folgte die junge Charlotte, die schon im zarten Alter von
16 Jahren Vollwaise geworden war, in die kurhessischen Gefilde. |
Als Hofdame hochadeliger Herkunft hatte sie die besten Voraussetzungen. Die Familie von Effern, ein begütertes rheinländisches
Adelsgeschlecht mit dem Stammsitz Efferen bei Köln, stellte zahlreiche hohe Persönlichkeiten geistlichen und weltlichen Standes.
Die Ahnenreihe ihrer mütterlichen Linie, der Grafen und Fürsten von Waldeck-Pyrmont, ging teilweise auf Könige und Kaiser zurück,
unter anderem auf Heinrich den Löwen, Ludwig den Frommen, Karl den Großen und Elisabeth die Heilige. Elf Geschwister ihrer Mutter
waren ausnahmslos mit den vornehmsten gräflichen und fürstlichen Häusern ehelich verbunden. Ihre Tante Sophie Juliane Gräfin von
Waldeck war verheiratet mit Landgraf Hermann von Hessen-Rotenburg. Ihr Onkel Johann Graf von Waldeck und Pyrmont war der Schwager
des Heidelberger Regenten Kurfürst Phillip Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Die standesrechtliche Heiratsgenehmigung mit Augustin von
Steube bekam die Braut von ihrem Vetter, dem regierenden Fürsten Christian Ludwig von Waldeck-Pyrmont. Zum Dank wurde der älteste
Sohn des Paares auf den Ehrennamen "Christian Ludwig" getauft. |
1688 ging Steube als Pfarrer der reformierten Gemeinde nach Leimen bei Heidelberg, wo noch im selben Jahre die Eheschließung
stattfand. Als die Franzosen 1689 die Pfalz verwüsteten, wurde der Ort zerstört, das Ehepaar flüchtete nach Heidelberg, wo die ersten
beiden Söhne (Christian Ludwig und Karl Konstans) geboren wurden. Doch auch hier wurde die Familie von den französischen Truppen nicht
verschont. 1689 wurde Heidelberg teilweise zerstört, 1693 erneut überfallen und niedergebrannt. Die Steubes flüchteten nach Kassel, hier
erblickte die erste Tochter (Marie Amalie) das Licht der Welt. |
Ende 1693 zog die Familie nach Vacha an der Werra, wo Augustin durch seine Verbindung zum hessischen Hof das Amt eines reformierten Predigers
antrat. Eine aussichtsreiche Position in der reformierten hessischen Landeskirche, weil sie zur Nachfolge auf die Metropolitanstelle berechtigte.
In Vacha schenkte ihm seine Gemahlin drei weitere Kinder (Christian Moritz, Wilhelmine Charlotte und Wilhelm Augustin). Neun Monate nach der
letzten Niederkunft wurde am 21. Januar 1700 auch die Dienstmagd Elisabeth Schütz von einem Kind (Anna Maria) entbunden - Folge eines
Liebesverhältnisses mit dem Hausherrn Augustin. Eine Affäre, die gleichzeitig alle Hoffnungen auf seinen beruflichen Aufstieg zunichte machte.
Nach der reformierten Kirchenordnung war das außereheliche Verhältnis eines Predigers mit dem Verlust der Pfarrei, einer Geldstrafe, einer
dreimonatigen Gefängnishaft und einer öffentlichen Kirchenbuße vor der gesamten Gemeinde verbunden. Insgesamt 17 Tage verbüßte Augustin eingeschlossen
im Rathausturm von Vacha. Die Geldstrafe wurde dem sündigen Gottesmann auf Bitten seiner Frau zwar erlassen, doch sein beschädigter Ruf machte ein weiteres
Fortkommen in Hessen unmöglich. In der Hoffnung auf einen beruflichen Neuanfang beschloß Steube, nach Brandenburg-Preußen zu gehen. Durch die
kurfürstlich-brandenburgische Einwanderungspolitik hatten dort viele Reformierte eine neue Heimat gefunden. Auch der Kasseler Hof, der mit den
reformierten Hohenzollern verwandtschaftlich verbunden war, setzten sich für eine Anstellung Augustin Steubes ein. In der Folge wurde er im Jahre
1701 auf königlichen Befehl zum Prediger der reformierten Gemeinde in Drossen (Neumark) berufen. |
Die Pfarrstelle war schlecht bezahlt und noch schlechter ausgestattet. Drossen besaß kein eigenes Pfarrhaus. Die Familie war gezwungen, gegen eine
Entschädigung von 16 Thalern zur Miete zu wohnen. Die Kirche verfügte auch über keinerlei Grundstücke, von denen der "Zehnte" dem Prediger zugefallen
wäre. Die Steubes mußten sich von 150 Thalern und 12 Scheffel Roggen wahrlich kümmerlich ernähren. Trotzdem widmete sich Augustin seiner Aufgabe mit
ganzer Kraft. Er warb sich bei der Gemeinde großes Ansehen, verfaßte mehrere Schriften, in denen er unter anderem eine Reform des Staats- und
Miliärwesens anstrebte und Gedanken zur Bekämpfung der Armut entwickelte. Daneben beschäftigte er sich intensiv mit dem Chiliasmus, der Lehre von
der tausendjährigen Herrschaft Christi auf Erden am Ende der geschichtlichen Zeit. In diesem Zusammenhang arbeitete er auch an einer Zeittafel, einer
periodischen Einteilung der Weltgeschichte. |
Auch in Drossen blieb die Familie Steube nicht vor Rückschlägen bewahrt. 1705 legte Augustin sein Amt freiwillig nieder - er hatte bei einem Jagdunfall
unglücklicherweise einen Knaben erschossen. Im selben Jahres zogen die Steubes mit ihren sechs Kindern erneut nach Berlin, wo für die Familie eine bittere
Zeit begann. Um finanziell über die Runden zu kommen, versuchte sich Augustin als Vortragsreisender. Zu allem Unglück brachte seine Frau im November 1707 e
in weiteres Kind (August Gottlieb) zur Welt. Eine Niederkunft, die der verarmten Familie aber auch eine zusätzliche Einnahmequelle eröffnete: Die siebenfache
Mutter Charlotte Steube leistete Ammendienste für den preußischen Thronfolger. |
Am 23. November 1707 wurde dem Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm von Preußen und Prinzessin Sophie Dorothea von Hannover der königliche Stammhalter Friedrich
Ludwig geboren, vom ersten Tage an ein schwächlicher und kränkelnder Knabe. Weil das königliche Paar häufig auf Reisen war, bat die Kronprinzessin die geborene
Reichsgräfin Steube darum, sie bei den mütterlichen Pflichten zu vertreten - denn nur eine Dame hochadeligen Geblüts durfte den königlichen Stammhalter stillen.
Dem Prediger Augustin wurden für die Dienste seiner Gattin jährlich 100 Thaler bewilligt. |
Während der Kronprinz im flanderischen Feldlager die Kriegskunst studierte und seine ahnungslose Gattin in Herrenhausen hannoversche Verwandte besuchte,
verschlechterte sich der Zustand des königlichen Spößlings dramatisch. Auch das Bemühen der Ärzte und Kinderfrauen konnten ihn nicht mehr retten, am 13. Mai 1708
erlosch das Lebenslicht des kleinen Prinzen. Er wurde mit Krone, Zepter und dem blitzendem Stern des Schwarzen Adlerordens in einem goldenen Sarg beigesetzt. |
Nach langer Suche konnte Augustin Steube im Dezember 1708 endlich eine Stelle als reformierter Pfarrer in Drechen in der Grafschaft Mark antreten, die er einem
Bittgang seiner Frau beim Berliner Kirchenkonsistorium verdankte. Hier in der kleinsten und westlichsten Provinz des Königreichs Preußen, weit weg von Berlin, b
egann er sein neues aristokratisches Leben. Er setzte das Adelsprädikat vor seinen Namen, führte sich bereits bei der Ankunft als Königlicher Prediger Augustin
von Steube offiziell in sei neues Amt ein. War es ein öffentliches Bekenntnis zu seiner eigenen aristokratischen Herkunft - möglicherweise auf Drängen der preußischen
Krone - um die Heirat mit seiner hochadeligen Gemahlin in der bäuerlich geprägten Gemeinde Drechen glaubhaft zu machen? Oder eine eigenmächtige Nobilitierung, um endlich
die ersehnte gesellschaftliche Akzeptanz in der preußischen Adelsgesellschaft zu erlangen? Die Gründe für diesen Schritt sind bis heute umstritten und können nur
vermutet werden. |
Nach harten Jahren der Flucht, Demütigung und Arbeitslosigkeit begann für die Familie eine glückliche und erfolgreiche Zeit. In Drechen wurden nicht nur die drei
jüngsten Kinder geboren (Christian, Christiane Polyxene, Gottfried Gerhard). In dem Bestreben, die Bibel für jeden Menschen verständlich zu machen, verfaßte der Prediger
hier schließlich auch sein Lebenswerk "Die Erklärung des Neuen Testaments". Ein Gesamtwerk von insgesamt 1240 Seiten, auf Büttenpapier gedruckt und in Schweinsleder gebunden.
Im Jahre 1715 brachte sich Augustin von Steube damit auch beim preußischen Hof wieder im empfehlenswerte Erinnerung - er reiste nach Berlin und hielt vor der königlichen
Familie eine Gastpredigt in der Domkirche. Zwei Exemplare seines Werkes in Goldschnitt und Glanzledereinband schickte er anschließend mit persönlicher Widmung an die
reformierten Könige Georg I. von England und Friedrich Wilhelm I. von Preußen, seinem langjährigen Kirchenpatron. |
Ein Präsent, das seine Wirkung offenbar nicht verfehlte: Der preußische Soldatenkönig berief den 65-jährigen Schriftsteller im Frühjahr des Jahres 1727 zum Königlichen
Oberprediger an die reformierte Kirche in Brandenburg, seine Söhne nahm er in seine Dienste: Johann Carl Constanz bekam die Pfarrei in Drechen, Christian Ludwig und Wilhelm
Augustin dienten als Offiziere im Festungsbau. Bei des letzteren erstgeborenen Sohn übernahm der König nicht nur die Patenschaft, ergab dem Täufling sogar seinen Namen:
Friedrich Wilhelm Gerhard Ludolph Augustin von Steuben. Ein Mann, der später als amerikanischer Generalmajor einmal Weltgeschichte
schreiben sollte. |
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Henning von Steuben, Frank Hogendorf
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