Vom kaiserlichen Hofpagen zum nationalsozialistischen Führungsoffizier - der Lebenslauf des Berndt von Steuben zeugt neben seiner Schicksalhaftigkeit auch von den politischen Wirrungen des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts. Nach der Primareife am Realgymnasium in Cosel (Oberschlesien) erfolgt seine Aufnahme ins Pagenkorps des preußischen Hofes in Berlin, wo der adelige Zögling zum Leibpagen von Preußen-Prinzessin Friederike Wilhelmine, der jüngsten Tochter Kaiser Wilhelms II. berufen wird. In Berlin beginnt auch seine militärische Karriere: mit 18 Jahren erfolgt sein Eintritt in königlich-preußische Armee, nach Ende des 1. Weltkriegs wird er als Oberleutnant in die Deutsche Reichswehr übernommen (100 000 Mann-Heer).Am 1. Oktober 1919 wechselt er in den Polizeidienst, dem er - zunächst in Magdeburg, später in Braunschweig – vierzehn Jahre lang angehört, zuletzt als Polizeimajor. Der Konflikt zwischen seiner soldatischen Grundhaltung und der aufkommenden NS-Ideologisierung führt jedoch bald zu persönlichen Differenzen.

Am 30. September 1933 bekommt er den schlichten Abschied - er hatte seinen Polizeioffizieren in Braunschweig die Teilnahme an der politischen Schulung während des Dienstes verboten. Seine existentielle Notlage und sein Status als Berufsoffizier veranlassen ihn schließlich, als Ausbilder der SA beizutreten.. In gleicher Funktion wechselt er 1935 in die Allgemeine SS (Mitgliedsnummer 262.915), wo er es in den folgenden vier Jahren bis zum Standartenführer (vergleichbarer Dienstrang: Oberst) bringt. Nach der Übernahme in die Waffen-SS 1939 kämpft er auf dem Balkan gegen jugoslawische Partisanen, wird Obersturmbannführer und Kommandeur des 7. SS-Gebirgsjäger-Ersatz-Bataillons, zuletzt Standort-Kommandeur in Zagreb (Jugoslawien). Nach Kriegsende kommt er vom 10. Mai 1945 bis zum 4. März 1948 in Kriegsgefangenschaft und britische Internierungshaft.

Durch das Alliierte Spruchgericht in Stade wird Bernd von Steuben am 15. April 1948 wegen „Zugehörigkeit zur SS“ zu einer Geldstrafe von 3.000,- Reichsmark verurteilt. Zitat aus der Urteilsbegründung: „Der Angeklagte ist offenbar ein typischer alter Soldat, der nur für seinen Beruf lebte. Er wird in den Leumundszeugnissen als anständiger, vornehmer und gerecht denkender Mann bezeichnet. Dem entspricht auch sein persönlicher Eindruck. Nach den gegebenen Umständen muss er jedoch aus Gesetz Nr. 10 des Kontrollrats und Verordnung der britischen Militär-Regierung bestraft werden.“

Obwohl von den alliierten Militärbehörden keine weiteren Anklagen erhoben werden, wird der ehemalige SS-Offizier dennoch von seiner Vergangenheit eingeholt. Wie alle entlassenen Internierungsinsassen muss er sich wenig später einem Entnazifizierungs-Verfahren stellen. Hier wird er durch den Berufungsausschuss für Entnazifizierung zunächst nur der Kategorie IV (Unterstützung des Nationalsozialismus) zugeordnet. Ausschlaggebend dafür waren u. a. anderem auch entlastende Leumundszeugnisse von Mitgliedern der Steubenschen Familie.

Am 16. August 1949 bestätigt sein Vetter Christian Otto von Steuben schriftlich: „Aus eigener Veranlassung gebe ich für Herrn Berndt von Steuben gern nachstehende Erklärung ab. Ich bemerke dabei, dass ich selbst niemals der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört, sondern viel Streit und Widerwärtigkeit damit erlebt habe.

Herr Berndt von Steuben ist mir seit ca. 30 Jahren bekannt. Er ist ein weit entfernter Vetter von mir. In den Jahren seit 1930 kamen wir öfter zusammen. Ich habe ihn stets als aufrichtigen und grundanständigen Charakter gekannt, als einen Soldaten alter Schule, der sich nie um Politik kümmerte, weil ihm das einfach nicht lag. Als solcher hat er in seiner Magdeburger Zeit 1935 bis 1939 bei der allgemeinen SS die vormilitärische Ausbildung seiner Männer durchgeführt, bei denen er sehr beliebt war. Da ich damals selbst in Magdeburg lebte, waren wir häufiger zusammen und ich habe niemals erlebt, dass er sich irgendwie parteipolitisch hervortat. Während des Krieges waren wir kurze Zeit in Belgrad zusammen, wo er Kommandeur einer mobilen Waffen-SS Einheit war. Auch hier war er lediglich soldatisch an führender Stelle und wurde von seinen Untergebenen sehr verehrt, was zu beobachten ich häufig Gelegenheit hatte. Zusammenfassend kann ich sagen, dass Berndt von Steuben seit seiner Jugend Soldat im besten Sinne des Wortes war und es bis zum Ende geblieben ist. Politische Betätigung und deren Spitzfindigkeit ist infolge seiner ganzen Erziehung niemals seine Sache gewesen.“
(gez. Christian Otto von Steuben, Goslar, Am Georgenberg 2)

Von besonderer Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist die eidesstattliche Erklärung der Anne-Marie Rosenberg, datiert vom Am 17. August 1949 - die Schwester des Berndt von Steuben war jüdisch verheiratet und 1938 mit Mann und Sohn nach England emigriert. Ihr Schreiben im Wortlaut: „Mein Ehemann Hugo Rosenberg, mit dem ich seit 21. Juni 1932 verheiratet bin, war politisch Verfolgter in Deutschland und jüdischer Abstammung. Er starb am 12. Mai 1947 in Bromley. Ich bestätige, dass sich mein Bruder Berndt von Steuben bis zu meinem Fortgang aus Deutschland im Jahre 1938 trotz seiner Zugehörigkeit zur NSDAP nicht aktiv parteipolitisch betätigt hat. Weder in unserem Elternhaus noch in seiner militärischen Laufbahn war er jemals parteipolitisch erzogen worden. Ich versichere, dass mein Bruder weder mir, meinem Mann noch meinem Sohn irgendwelchen Schaden oder Nachteil vor und während des Krieges zugefügt hat. Im Gegenteil, mein Bruder und mein Mann waren die besten Freunde.“
(gez. Anne-Marie Rosenberg, geb. von Steuben, Bromley/Kent, 30 Mansons Hill, England)

Trotz dieser und zahlreicher anderer entlastenden Aussagen legt der damalige niedersächsische Innenminister Richard Borowski (geb.1894) gegen die seiner Ansicht nach zu geringfügige Einstufung des ehemaligen SS-Offiziers Einspruch ein. Borowski, von 1928 bis 1933 SPD-Parteisekretär in Göttingen, wurde als bekennender Sozialdemokrat unter dem NS-Regime gleich mehrfach verhaftet und zweimal in ein Konzentrationslager deportiert. In den Augen des Nachkriegspolitikers lassen nicht zuletzt diese persönlichen Erfahrungen die Zugehörigkeit Steubens zur SA und zur Allgemeinen SS in einem schwerwiegenden Licht erscheinen.

Der Einspruch des Ministers wird jedoch am 22. März 1950 durch den Landesausschuss für die Entnazifizierung in Niedersachsen zurückgewiesen. Begründung: „Entgegen der Auffassung des Herrn Ministers ist festzustellen, dass es sich bei der SA-Gruppe, die dem Chef AW (Ausbildungswesen) unterstand, nicht um die berüchtigte nationalsozialistische Kampfgruppe handelte, sondern um eine Formation, die dem Chef AW unterstand und getarnte Reichswehr war. Die Tätigkeit des Betroffenen hatte also mit Politik nichts zu tun. Als die SA-Truppe dem Heer angegliedert wurde, wie es vorgesehen war und der Betroffene wiederum vor dem beruflichen dem Nichts stand, ist er als Ausbilder bei der SS eingetreten. Es konnte in keiner Weise festgestellt werden, dass dieser Übertritt zur SS etwa aus aktivistischen Motiven erfolgt ist, sondern es liegt klar auf der Hand, dass auch hier wieder die Erwerbslosigkeit des Betroffenen ausschlaggebend war. Bei dieser Sachlage kann der Betroffene, der dann später zur Waffen-SS eingezogen wurde, nicht als wesentlicher Förderer angesehen werden. Die Entscheidung des Berufungsausschusses für die Entnazifizierung in Hildesheim – Spruchausschuß Göttingen – ist daher offensichtlich nicht verfehlt. Der Antrag des Herrn Ministers muss aus diesem Grunde zurückgewiesen werden.“
Am 16. Mai 1951 wird Berndt von Steuben in die Kategorie V (entlastet) überführt. Seine letzten Lebensjahre verbringt er im Kreise seiner Familie in Northeim (Kreis Göttingen). Er stirbt am 28. Februar 1968 an einem Schlaganfall.

Die pauschale Verurteilung ehemaliger SS-Angehöriger mag angesichts des sie tragenden verbrecherischen NS-Systems emotional verständlich sein. Für die historische Bewertung ist jedoch erscheint eine differenzierte Betrachtung dieses Verbandes, insbesondere seiner politischen Entwicklung und seiner inneren Strukturen unerlässlich.

Ursprünglich war die SS („Schutzstaffel“) eine im Umfeld der nationalsozialistischen Bewegung angesiedelte paramilitärische Gruppe, die im Jahre 1925 zum persönlichen Schutz Adolf Hitlers gegründet wurde. Vorläufer war die SA („Sturmabteilung“), eine uniformierte und bewaffnete Kampf- und Propagandatruppe. Sie wurde als „Ordnungsdienst“ vornehmlich für gezielte Terroraktionen gegen politische Gegner eingesetzt.

Nach der Machtergreifung gliederte sich die SS in drei organisatorisch getrennte Bereiche: die allgemeine SS (“schwarze SS” als rein politische Organisation), die SS-Totenkopfverbände (Wachverbände der Konzentrationslager) und die SS-Verfügungstruppe (Nukleus der späteren Waffen-SS). Weitere Untergruppen der SS waren der Reichssicherheitsdienst (Gestapo Kripo, Sicherheitsdient (SD) und die Polizei (Ordnungs- und Sicherheitspolizei).

Die Geschichte der Waffen-SS geht auf die Gründung der Stabswache Berlin am 17.März 1933 zurück. Aus dieser entwickelte sich die SS-Verfügungstruppe (Allgemeine SS), die 1935 aus der „Leibstandarte Adolf Hitler“ (2.600 Mann) sowie den Standarten „Deutschland“ und „Germania“ (zusammen 5.040 Mann) bestand.

Um eine Konfrontation mit der Wehrmacht zu vermeiden - sie beanspruchte für sich nach wie vor das Recht, der einzige Waffenträger der Nation zu sein – erließ man zunächst eine Beschränkung auf drei bewaffnete SS-Regimenter, die durch Paul Hausser (General der Waffen-SS) ausgebildet wurden, um daraus eine militärisch einsetzbare Truppe zu machen.

Als eine Art Prätorianergarde der NS-Partei konzipiert, rückte die Waffen-SS im Laufe der Jahre immer deutlicher von der politischen SS ab. Der Alltag des Zweiten Weltkrieges verwandelte die Soldaten der Waffen-SS in nahezu normale Soldaten, kaum zu unterscheiden von den Angehörigen der Wehrmacht. Bis auf die Mannstärke: Während die SS-Verfügungstruppe zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lediglich aus ein paar Regimentern bestand, umfasste die Waffen-SS Ende 1944 insgesamt 40 Divisionen mit über 910.000 Soldaten.

Wegen ihrer guten Ausstattung und ihres Kampfgeistes wurden die Verbände der Waffen-SS meistens zu besonders schweren Kampfaufgaben und in Krisenlagen als sogenannte „Feuerwehr“ eingesetzt. Ihr Einsatz wurde von den Kommandeuren der Wehrmacht begrüßt, da die Verbände im Gegensatz zum Heer voll motorisiert und daher äußerst beweglich waren. Die Einheiten zeichneten sich immer wieder durch Tapferkeit und Wagemut im Kampf, aber auch durch hohe Verluste aus, ihr „esprit de corps“ innerhalb der Einheiten führte zu einer außergewöhnlichen Kameradschaft über die Dienstränge hinweg. Diese militärische Leistung wurde jedoch durch eine Anzahl von Kriegsverbrechen überschattet. Der Ursprung der Waffen-SS als politisch motivierte Truppe wurde besonders im Russlandfeldzug deutlich als es darum ging, den Bolschwismus zu vernichten. Aber auch in den schweren Kämpfen nach der alliierten Invasion in der Normandie, in denen die Einheiten der Waffen-SS hervorragende kämpferische Leistung erbrachten, kam es wiederholt zu Massakern brutalisierter Fanatiker. Vergleicht man die Waffen-SS mit dem Heereseinheiten der Wehrmacht, so stand eine elitär ausgebildete, für damalige Verhältnisse hochmodern ausgestattete Kerntruppe im Gegensatz zum amorphen Massenheer traditioneller Prägung. Die Unterschiede zwischen Mannschaften und Führern wurden nivelliert, absoluten Vorrang hatten Kameradschaft, Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Respekt. Eine Führerauslese aus Mitgliedern der Truppe resultierte in einer Geschlossenheit der Truppe. Führernachwuchs aus den SS-Junkerschulen (Offiziers-schulen) wurde allein durch die Vorbildung legitimiert - Voraussetzung waren mindestens zwei Jahre Dienst in der Truppe.

Dennoch gelang es der Waffen-SS niemals, aus dem Schatten ihrer Schwesterorganisationen herauszutreten. Nicht zuletzt deshalb stempelte sie das Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal kollektiv zu einer „Armee der Geächteten“ ab. Man unterschied nicht mehr zwischen der sogenannten Allgemeinen SS, den KZ-Bewachungseinheiten und den Kampfeinheiten der Waffen-SS. Vielmehr wurde die SS insgesamt als verbrecherische Organisation eingestuft – und damit pauschal auch alle Soldaten der Waffen-SS diffamiert. Im historischen Rückblick dagegen wird die Waffen-SS – je nach politischer Couleur des Betrachters - entweder als verabscheuungswürdig und ehrlos oder als kämpferisches Vorbild angesehen. Ein Umstand, der bis heute ihren Mythos begründet.


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