Bis ins 20. Jahrhundert galt Friedrich
Wilhelm von Steuben als berühmtester Sproß
des Steubenschen Uradelsgeschlechts, ausgewiesen im
Karlsruher Staatsarchiv ebenso wie in zahlreichen
Biographien, Adelslexika und historischen Schriften.
Anfang der 30iger Jahre wird diese Abstammung
durch den Historiker Hermann Stöbe infrage
gestellt. Er bescheinigt dem Offizier eine bürgerliche
Herkunft, die er auf eine Fälschung des adeligen
Stammbaums der Familie von Steuben zurückführt.
Eine Version, die auch in zahlreiche jüngere
Veröffentlichungen Eingang findet.
Danach ist der Ururgroßvater des
amerikanischen Generals ein Klaus Steube
(1567-1635), Mahlmüller in Heldra (Nordhessen),
der Urgroßvater Ludwig Steube (1608-1683)
daselbst Pachtmeier des Erffaischen Rittergutes.
Sein Großvater, Augustin Steube (1661-1738)
knüpfte die eigene bürgerliche Stammreihe
an eine 1656 ausgestorbene Linie des Mansfelder Uradelsgeschlechts
an, in dem er Nicolaus von Steube (1592 -
1656) eine zweite Ehe mit einer österreichischen
Adligen andichtete - der Pächter Ludwig Steube
aus Heldra wurde auf diese Weise zum "Sohn"
des Nicolaus von Steube, Herr auf Enns und
Gerbstedt. Nach Ansicht des Historikers wollte der
aus bäuerlich-kleinbürgerlichen Verhältnissen
stammende Prediger mit der eigenmächtigen Erhebung
in den Adelsstand seine Ehe mit Charlotte Dorothea
Gräfin von Effern glaubhaft machen (ihre
Mutter gehörte als Tochter des regierenden Reichsgrafen
Christian von Waldeck und Pyrmont dem deutschen Hochadel
an) und seinen Nachkommen den Aufstieg in höhere
gesellschaftliche Kreise ermöglichen, denn nur
der Adel stellte im preußischen Obrigkeitsstaat
das Offizierskorps und die Beamtenschaft. Die Täuschung
sei später auch als Legitimation des Adels Friedrich
Wilhelm von Steubens anerkannt worden, weil eine Nachprüfung
durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges
(1618 1648) erschwert wurde.
(Um seine Darstellung zu untermauern,
verweist der Autor auf weitere berühmte Feldherren
mit angeblich bürgerlicher Herkunft, die ihren
militärischen Aufstieg im 18. Jahrhundert eigenmächtigen
Standeserhebungen verdankten: Darunter Feldmarschall
Hans David Ludwig von Yorck, General Carl von
Clausewitz und Generalfeldmarschall August
Wilhelm Anton Neithardt von Gneisenau)
Die These von der bürgerlichen
Herkunft des Generals entfacht in den dreißiger
Jahren zwischen der bürgerlichen Familie Steube
und dem Adelsfamilie von Steuben einen erbitterten
Streit, der letztlich in einer juristischen Auseinandersetzung
gipfelt. Ausgelöst wird er durch Augustus
Lewis von Steuben aus Allentown (Pennsylvania),
der 1889 beim US-State-Departement Ansprüche
auf den Landbesitz des verstorbenen Generalinspekteurs
geltend macht – schon damals ein Vermögenswert
von mehreren Millionen Dollar. Der Amerikaner geht
von einer Fälschung des Testaments aus, in dem
Steuben seine zunächst bedachten Verwandten in
Europa nachträglich enterbt hatte.
Um den erforderlichen Abstammungsnachweis zu erbringen,
wendet sich der Amerikaner an den adeligen Steubenschen
Familienverband, der auf die Ahnentafeln und genealogischen
Handbücher verweist. Die dortigen Angaben werden
von den US-Behörden jedoch als nicht ausreichend
angesehen. Nach dem ersten Weltkrieg entsendet die
amerikanische Familie deshalb einen Detektiv namens
Carl de Min nach Europa, der in Kassel ein
Informationsbüro einrichtet, in Zeitungsanzeigen
deutsche Verwandte des amerikanischen Generals sucht
und insgesamt drei Jahre lang einschlägiges Urkundenmaterial
studiert. Seine Nachforschungen, die in der deutschen
Presse breiten Niederschlag finden, machen unter anderen
auch den Historiker Hermann Stöbe auf den Fall
aufmerksam. Seine spätere bürgerliche Abstammungsthese
revolutioniert die historische Fachwelt, in der Öffentlichkeit
bleibt sie jedoch nahezu unbeachtet – hier wird
der berühmte Preuße – ebenso wie
in der deutschen Aristokratie weiterhin als der Angehöriger
der adeligen Familie von Steuben angesehen.
Anfang der 30iger Jahre formiert sich
daraufhin im hessischen Heldra ein „Familienverband
der Steube von Heldra – Blutsverwandte des amerikanischen
Generals Friedrich Wilhelm von Steuben .“
Im Sommer 1933 verklagen drei Mitglieder der Steube-Familie
den Präsidenten des von Steubenschen Familienverbandes,
Major Fritz von Steuben, beim Landgericht
Greifswald auf „Unterlassung“. Begründung:
„Durch die Behauptung einer Verwandtschaft mit
dem General werde das ideelle schutzwürdige Interesse
der Heldraer Familie Steube auf das Empfindlichste
beeinträchtigt.“ Nach fast zweijähriger
Prozeßdauer wird die Klage am 18. April 1935
vom Oberlandesgericht Stettin in letzter
Instanz bestätigt: „Die Antragsteller haben
glaubhaft gemacht, dass General von Steuben mit
der gleichnamigen Adelsfamilie nichts zu tun hat
und höchstwahrscheinlich aus der bürgerlichen
Familie Steube stammt.“ Unter dem Zwang dieses
Urteils, aber gegen seine tiefe innere Überzeugung
, läßt Major von Steuben elf Tage später
durch seinen Rechtsanwalt, Graf von Medem
eine Erklärung abgeben: Er verpflichtet sich
nach dem OLG-Beschluß, die Blutsverwandschaft
des US-Generals mit seiner Familie als nicht erwiesen
anzuerkennen. Der Streit scheint endgültig beigelegt.
Stattdessen bemüht man sich weiterhin
hartnäckig, die vermeintlichen Erbschaftsansprüche
der Steube-Familie bei den US-Behörden durchzusetzen.
In einem Brief vom 25. Januar 1949 an das Büro
für Europäische Angelegenheiten in
Washington bittet ein Fritz Rommel, angeblicher
„Bevollmächtigter des Familienverbandes
der Steube von Heldra - Blutsverwandte des amerikanischen
Generals Friedrich Wilhelm von Steuben“ darum,
den Fall wegen „erbrechtlicher Belange der deutschen
Blutsverwandten von staatswegen genealogisch und juristisch
zu überprüfen.“ Die Behörde verweist
auf den Rechtsweg, doch das beauftragte New Yorker
Anwaltsbüro Curtis, Mallet-Prevost, Colt
& Mosle lehnt die Übernahme des Falles
am 19. November 1949 ab. Begründung: „Das
letzte Testament des Generals vom 6. Januar 1794 bestätigt,
dass sein gesamter Grundbesitz seinen ehemaligen
Kriegskameraden John Mulligan, Benjamin Walker
und William North hinterlassen wurde. Diese
im Testament genannten Personen und ihre Nachfolger
sind seit Steubens Tod im Besitz der Ländereien
geblieben. Gemäß dem Gesetz von New York
gewinnen Personen, die für mehr als 20 Jahre
in unangefochtenem Besitz von Land sind, einen Rechtsanspruch,
der gegen alle anderen Personen gültig ist.“
Scheint auch die Erbangelegenheit damit
endgültig erledigt, bricht der Streit um die
Abstammung wenige Jahre später erneut aus. In
den Nachkriegswirren flüchtet der erst 16-jährige
Jobst Alexander von Steuben 1954 aus Magdeburg
über die Grenze der damaligen Sowjetzone nach
Westdeutschland, um mit Hilfe der amerikanischen „Steuben-Society“
in die USA zu emigrieren – Mitglieder der Vereinigung
hatten sich als Bürgen angeboten, um dem Deutschen
die Einbürgerung zu ermöglichen. Unter der
Schlagzeile „Junger Steuben-Nachfahre wandert
aus“ wird die Meldung am 29. August 1954 im
New Yorker Staatsanzeiger veröffentlicht
– und ruft erneut die Familie Steube auf den
Plan. In einem Schreiben vom 26. November 1954 an
den Vorstand der Steuben-Society äußert
Rommel (wie sich später herausstellt, ein entfernter
Verwandter der Familie Steube), sein „Befremden
über die Betreuungsmaßnahmen für den
jungen Edelmann, da sie auf falschen Angaben über
seine Herkunft beruhen.“
Seitdem hat das Thema die Geschichtsforschung
bis in die heutige Zeit intensiv beschäftigt.
1982 stellt der Berliner Historiker Theodor Albrecht
die bürgerliche Abstammungstheorie wieder infrage.
Begründung: Im Gegensatz zu allen anderen Kindern
des Ludwig Steube seien die Geburtsdaten seines „Sohnes“
Augustin in den Kirchenbüchern der reformierten
Gemeinden Treffurt, Heldra und Altenburschla
urkundlich nicht nachweisbar, weder der Geburtstag
noch der Geburtsort seien dort verzeichnet. Der einzige
Herkunftshinweis ergebe sich andeutungsweise aus dem
Schülerverzeichnis des Hersfelder Gymnasiums,
in dem Augustin vom Frühjahr 1677 bis zum Herbst
1681 namentlich erwähnt ist.
Gegen eine bürgerliche Herkunft
des Augustin spreche auch seine Förderung durch
die hessischen Regenten und die enge Beziehung seiner
Familie zu den hochadeligen Landesherrn - fast alle
Paten seiner Kinder stammen aus regierenden Fürstenhäusern.
Albrechts These: Der Großvater des Generals
war in Wirklichkeit ein Adelssproß unehelicher
Herkunft (illegitimer Sohn von Prinzessin Luise
Hollandine (Ludovica) von Pfalz-Simmern), der
von der bürgerlichen Familie Steube adoptiert
wurde, um den „Makel“ zu verschleiern.
Mit der Änderung seines Adoptivnamens Steube
in den Adelsnamen von Steube(n) wollte der
gebürtige Aristokrat seine Ehe später auch
offiziell legitimieren. Von einer bürgerlich
Herkunft sei schon deshalb nicht auszugehen, weil
die Verwandtschaft mit dem Heldraer Pachtmeier Ludwig
Steube urkundlich nicht nachweisbar ist. Sie sei von
Stöbe lediglich vermutet worden, aber wissenschaftlich
nicht zu belegen.
Augustin selbst lässt die Frage
nach seiner Herkunft offen. Im Vorwort seiner „Erklärung
des Neuen Testaments“ (erschienen 1726 in Bremen)
schreibt der Prediger lediglich „dass sein
Geschlecht von altem Adel sei, aber im 30-jährigen
Krieg so heruntergekommen, dass es sich noch
nicht habe erholen können.“ Auch 100 Jahre
später macht der Sohn des Augustin, August Wilhelm
von Steuben im „Historischen Portefeuille“
von 1785 über seinen Vater nur eine vage Mitteilung:
„Augustin, einziger Sohn Ludewigs, war ein Verlobter
Gottes von seiner Mutter und gebohren 1661.“
Ungereimtheiten ebenso wie dessen spätere Heirat:
Die Ehe zwischen dem Sohn eines kleinbürgerlichen
Pachtmeiers und einer hochadeligen Grafentochter war
nach den Standesgesetzen jener Zeit praktisch unmöglich.
Albrechts These geht zwar von einer
„verschleierten“ adeligen Herkunft des
Predigers aus, verneint aber dessen Steubensche Abstammung
– sie sei durch die Namensanmaßung lediglich
vorgetäuscht worden. Auch der spätere US-General
Friedrich Wilhelm von Steuben gab sich – ebenso
wie sein Vater August Wilhelm - als Angehöriger
des Mansfelder Uradelsgeschlechts aus, führte
die Genealogie der Familie sogar in einem selbstgefertigten
Stammbaum. Ob er dies irrtümlich oder wissentlich
tat, um seine Aufnahme in den badischen Hausorden
der Treue zu ermöglichen, sei dahingestellt.
Zwingend geboten war es allemal: Die Zugehörigkeit
zu diesem Orden, die mit der Verleihung des Barons-Titels
verbunden war, setzte den zweifelsfreien Nachweis
einer adeligen Herkunft voraus.
Auch wenn der Historiker die Zugehörigkeit
zum Steubenschen Uradelsgeschlecht väterlicherseits
ausschließt, leitet er sie genetisch von der
Ahnenreihe der Mutter des Generals ab, einer geborenen
von Jagow. Ihre Vorfahren mütterlicherseits
waren die begüterten Familien von dem Knesebeck,
von der Asseburg, von Veltheim, von Möllendorff
und von Saldern – alles Namen, die auch
im Steubenschen Ahnenerbe festzustellen sind und dort
insgesamt 29mal erscheinen. Ihre väterliche Linie
weist gleich mehrere direkte Vorfahren des Christoph
Otto von Steuben auf: Seine Urgroßmutter
(Magdalena von Jagow, 1525-1585), seinen
Urgroßvater in der zweiten Generation (Hans
von Jagow auf Aulosen) und in der dritten Generation
(Asmus von Jagow auf Aulosen). Ebenso die
müttererliche Ahnenreihe des Christoph Liborius
von Steuben: Seine Urgroßmutter in der
zweiten Generation (Armgard von Jagow) und
seinen Urgroßvater in der dritten Generation
(Dietrich von Jagow).
Schlußfolgerung des Wissenschaftlers: Selbst
bei einer vermeintlich bürgerlichen Herkunft
seines Vaters bzw. Großvaters liege der von
Steubensche Blutsanteil des Generals bei mindestens
32,25 Prozent, seine Verwandtschaft mit dem mansfeldischen
Uradelsgeschlecht sei damit eindeutig bewiesen.
Obwohl Albrecht versucht, die Logik
seiner Thesen gerichtlich durchzusetzen, zerschlägt
sich die Hoffnung auf ihre juristische Akzeptanz durch
Anfechtung des Stettiner OLG-Urteils. Auskunft des
Bonner Justizministeriums vom 7. Dezember 1982: „Eine
positive Armenrechtsentscheidung ist nach den geltenden
Prozeßkostenhilfe-regelungen ebenso wie nach
dem früheren Recht unanfechtbar. Eine Überprüfung
des Urteils kommt deshalb nicht in betracht“.
Schlusspunkt einer Auseinandersetzung, die nicht nur
die historische Fachwelt sondern vor allem auch die
betroffenen Familien über ein halbes Jahrhundert
in Atem hält.
Mag die Heftigkeit, mit der die Abstammungsdiskussion
geführt wurde, aus heutiger Sicht auch unverständlich
erscheinen, so dürfte die immer wieder beschworene
„Wiederherstellung der Familienehre“ vor
allem durch die vermeintlichen Erbansprüche und
die Popularität des Erblassers bestimmt gewesen
sein. Für die historische Wissenschaft gleichwohl
Anlaß, das Geschichtsbild feudalistischer Gesellschaftsstrukturen
im 17. Und 18. Jahrhunderts neu zu definieren –
der glanzvolle Aufstieg eines Mannes mit kleinbürgerlicher
Abstammung im preußisch-aristokratischen Offizierkorps
scheint biografisch dafür geradezu prädestiniert.
Eine Erkenntnis darf man heute trotz aller wissenschaftlichen
Bemühungen als gesichert ansehen: Die dunkle
Vergangenheit des Predigers Augustin von Steube wird
sich vermutlich niemals wirklich ergründen lassen.
Solange aber seine formelle Nobilitierung nicht eindeutig
nachgewiesen werden kann, werden Forschung und Literatur
der bürgerlichen Abstammungstheorie Friedrich
Wilhelm von Steubens auch weiterhin das Wort reden.
Wie auch immer man die jeweilige „historische
Wahrheit“ beurteilt – unbestritten sind
die Verdienste des preußischen Offiziers und
späteren amerikanischen Generals, die bis heute
nachklingen und ihn zur Symbolfigur für die Verbundenheit
beider Nationen gemacht haben.