Bürgerlicher
Müllerssohn oder unehelicher Adelssproß?
Als Schlüsselfigur in der Abstammungsdiskussion
um den amerikanischen General Friedrich Wilhelm von
Steuben gilt sein Großvater Augustin (von) Steube,
dessen Herkunft bis in die heutige Zeit umstritten
ist. Seine Lebensgeschichte soll in diesem Kapitel
näher beleuchtet werden.
Schon seit frühester
Jugend steht Augustin von Steube in der besonderen
Gunst der hessischen Regenten. Landgräfin
Hedwig Sophie von Hessen-Kassel, Tochter des
Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg,
ermöglicht seine Aufnahme ins Konvikt des fürstlichen
Hersfelder Gymnasiums - ein Privileg, das vornehmlich
adeligen Zöglingen vorbehalten ist. Als jungen
Theologie-Studenten beruft sie ihn 1682 zum Nachmittags-prediger
auf ihrem Witwensitz im Schloß Schmalkalden
und vermittelt ihn später an den Kurfürstlichen
Hof in Heidelberg, wo Kurfürstin Charlotte
von der Pfalz, die Schwägerin der Landgräfin,
den jungen Prediger in ihre Obhut nimmt. Hier begegnet
Augustin auch seiner späteren Gemahlin - der
jungen Komtesse Charlotte Dorothea von Effern,
einer adeligen Hofdame aus Dänemark. Ihr Vater
dient nach dem Verkauf seiner Güter am Niederrhein
als Oberst in einem schwedischen. Infanterie-Regiment.
Ihr Bruder Graf Christian Adolf von Effern
ist Kommandeur des Königlichen Leib-Reiterregiments
in Kopenhagen, wird nach seinem Ausscheiden aus dänischen
Diensten im Jahre 1689 Kommandeur der Heidelberger
Festung Dilsburg. Ihm folgt die junge Charlotte, die
schon im zarten Alter von 16 Jahren Vollwaise geworden
war, in die kurhessischen Gefilde.
Als Hofdame hochadeliger
Herkunft hat sie die besten Voraussetzungen. Die Familie
von Effern, ein begütertes rheinländisches
Adelsgeschlecht mit dem Stammsitz Efferen bei Köln,
stellt zahlreiche hohe Persönlichkeiten geistlichen
und weltlichen Standes. Die Ahnenreihe ihrer mütterlichen
Linie, der Grafen und Fürsten von Waldeck-Pyrmont,
geht teilweise auf Könige und Kaiser zurück,
unter anderem auf Heinrich den Löwen, Ludwig
den Frommen, Karl den Großen und Elisabeth
die Heilige. Elf Geschwister ihrer Mutter sind
ausnahmslos mit den vornehmsten gräflichen und
fürstlichen Häusern ehelich verbunden. Ihre
Tante Sophie Juliane Gräfin von Waldeck
ist verheiratet mit Landgraf Hermann von Hessen-Rotenburg.
Ihr Onkel Johann Graf von Waldeck und Pyrmont
ist der Schwager des Heidelberger Regenten Kurfürst
Phillip Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Die standesrechtliche
Heiratsgenehmigung mit Augustin von Steube bekommt
die Braut von ihrem Vetter, dem regierenden Fürsten
Christian Ludwig von Waldeck-Pyrmont. Zum Dank
wird der älteste Sohn des Paares auf den Ehrennamen
„Christian Ludwig“ getauft.
1688 geht Steube als
Pfarrer der reformierten Gemeinde nach Leimen bei
Heidelberg, wo noch im selben Jahre die Eheschließung
stattfindet. Als die Franzosen 1689 die Pfalz verwüsten,
wird der Ort zerstört, das Ehepaar flüchtet
nach Heidelberg, wo die ersten beiden Söhne (Christian
Ludwig und Karl Konstans) geboren werden..
Doch auch hier wird die Familie von den französischen
Truppen nicht verschont. 1689 wird Heidelberg teilweise
zerstört, 1693 erneut überfallen und niedergebrannt.
Die Steubes flüchten nach Kassel, hier erblickt
die erste Tochter (Marie Amalie) das Licht
der Welt.
Ende 1693 zieht die
Familie nach Vacha an der Werra, wo Augustin durch
seine Verbindung zum hessischen Hof das Amt eines
reformierten Predigers antritt. Eine aussichtsreiche
Position in der reformierten hessischen Landeskirche,
weil sie zur Nachfolge auf die Metropolitanstelle
berechtigt. In Vacha schenkt ihm seine Gemahlin drei
weitere Kinder (Christian Moritz, Wilhelmine Charlotte
und Wilhelm Augustin). Neun Monate nach der
letzten Niederkunft wird am 21. Januar 1700 auch die
Dienstmagd Elisabeth Schütz von einem
Kind (Anna Maria) entbunden – Folge
eines Liebesverhältnisses mit dem Hausherrn Augustin.
Eine Affäre, die gleichzeitig alle Hoffnungen
auf seinen beruflichen Aufstieg zunichte macht. Nach
der reformierten Kirchenordnung ist das außereheliche
Verhältnis eines Predigers mit dem Verlust der
Pfarrei, einer Geldstrafe, einer dreimonatigen Gefängnishaft
und einer öffentlichen Kirchenbuße vor
der gesamten Gemeinde verbunden. Insgesamt 17 Tage
verbüßt Augustin eingeschlossen im Rathausturm
von Vacha. Die Geldstrafe wird dem sündigen Gottesmann
auf Bitten seiner Frau zwar erlassen, doch sein beschädigter
Ruf macht ein weiteres Fortkommen in Hessen unmöglich.
In der Hoffnung auf einen beruflichen Neuanfang beschließt
Steube, nach Brandenburg-Preußen zu gehen. Durch
die kurfürstlich-brandenburgische Einwanderungspolitik
haben dort viele Reformierte eine neue Heimat gefunden.
Auch der Kasseler Hof, der mit den reformierten Hohenzollern
verwandtschaftlich verbunden ist, setzt sich für
eine Anstellung Augustin Steubes ein. In der Folge
wird er im Jahre 1701 auf königlichen Befehl
zum Prediger der reformierten Gemeinde in Drossen
(Neumark) berufen.
Die Pfarrstelle ist
schlecht bezahlt und noch schlechter ausgestattet.
Drossen besitzt kein eigenes Pfarrhaus. Die Familie
ist gezwungen, gegen eine Entschädigung von 16
Thalern zur Miete zu wohnen. Die Kirche verfügt
auch über keinerlei Grundstücke, von denen
der „Zehnte“ dem Prediger zugefallen wäre.
Die Steubes müssen sich von 150 Thalern und 12
Scheffel Roggen wahrlich kümmerlich ernähren.
Trotzdem widmet sich Augustin seiner Aufgabe mit ganzer
Kraft. Er erwirbt sich bei der Gemeinde großes
Ansehen, verfasst mehrere Schriften, in denen er unter
anderem eine Reform des Staats- und Militärwesens
anstrebt und Gedanken zur Bekämpfung der Armut
entwickelt. Daneben beschäftigt er sich intensiv
mit dem Chiliasmus, der Lehre von der tausendjährigen
Herrschaft Christi auf Erden am Ende der geschichtlichen
Zeit. In diesem Zusammenhang arbeitet er auch an einer
Zeittafel, einer periodischen Einteilung der Weltgeschichte.
Auch in Drossen bleibt
die Familie Steube nicht vor Rückschlägen
bewahrt. 1705 legt Augustin sein Amt freiwillig nieder
– er hat bei einem Jagdunfall unglücklicherweise
einen Knaben erschossen. Im selben Jahr ziehen die
Steubes mit ihren sechs Kindern erneut nach Berlin,
wo für die Familie eine bittere Zeit beginnt.
Um finanziell über die Runden zu kommen, versucht
sich Augustin als Vortragsreisender. Zu allem Unglück
bringt seine Frau im November 1707 ein weiteres Kind
(August Gottlieb) zur Welt. Eine Niederkunft,
die der verarmten Familie aber auch eine zusätzliche
Einnahmequelle eröffnet: Die siebenfache Mutter
Charlotte Steube leistet Ammendienste für den
preußischen Thronfolger.
Am 23. November 1707
wird dem Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm von
Preußen und Prinzessin Sophie Dorothea
von Hannover der königliche Stammhalter
Friedrich Ludwig geboren, vom ersten Tage
an ein schwächlicher und kränkelnder Knabe.
Weil das königliche Paar häufig auf Reisen
ist, bittet die Kronprinzessin die geborene Reichsgräfin
Steube darum, sie bei den mütterlichen Pflichten
zu vertreten – denn nur eine Dame hochadeligen
Geblüts darf den königlichen Stammhalter
stillen. Dem Prediger Augustin werden für die
Dienste seiner Gattin jährlich 100 Thaler bewilligt.
Während der Kronprinz im flandrischen Feldlager
die Kriegskunst studiert und seine ahnungslose Gattin
in Herrenhausen hannoversche Verwandte besucht, verschlechtert
sich der Zustand des königlichen Sprößlings
dramatisch. Auch das Bemühen der Ärzte und
Kinderfrauen können ihn nicht mehr retten, am
13. Mai 1708 erlischt das Lebenslicht des kleinen
Prinzen. Er wird mit Krone, Zepter und dem blitzendem
Stern des Schwarzen Adlerordens in einem goldenen
Sarg beigesetzt.